Die Erkenntnis, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, ist seit dem Buch von Adam Smith „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ von 1776 eine der Kernaussagen der Wirtschaftswissenschaften. Danach werden Angebot und Nachfrage seit Generationen mit folgender Grafik dargestellt:
Abb. 53: klassische Angebots-Nachfrage-Funktion
(Quelle: eigene Darstellung)
Dieses Modell geht von vielen kleinen Anbietern und vielen kleinen Nachfragern aus. Die Mengensteigerung bei höheren Preisen kommt dadurch zu Stande, dass dann mehr Anbieter (nach der Vorstellung von Smith z.B. kleine Handwerker) diese Güter fertigen. Diese Annahmen liegen heute nicht mehr im Bereich des Üblichen. Der Mechanismus funktioniert noch in Ansätzen, aber meistens nicht mehr wie von Adam Smith beschrieben.
Smith unterschied den Marktpreis, gebildet durch Angebot und Nachfrage, vom natürlichen Preis, der mit den Durchschnittskosten (Lohn, Grundrente und Profit) übereinstimmt. Der Marktwert schwankt um den natürlichen Wert, kann sich auf Dauer aber nicht weit von ihm entfernen. Unter den Bedingungen der industriellen Produktion mit wenigen großen Anbietern bedeutet das, dass bei einer erhöhten Nachfrage und größeren produzierten Mengen die Stückkosten durch die Wirkung der Fixkostendegression sinken, was folgende Grafik zeigt:
Abb. 54: Kostenfunktion
(Quelle: eigene Darstellung)
Wenn man nun mit Adam Smith unterstellt, dass sich die Nachfrage mit sinkenden Preisen linear erhöht und der natürliche Preis mit den Kosten degressiv sinkt, dann kommt es zu folgender Angebots- und Nachfragefunktikon:
Abb. 55: Angebots-Nachfrage-Funktion im Oligopol
(Quelle: eigene Darstellung)
Die Funktion hätte nicht einen sondern zwei Schnittpunkte. Bei einer Nahchfrage unterhalb des ersten Schnittpunkts, der hier als Flopp-Grenze bezeichnet wird, werden die Kosten der Anbieter nicht gedeckt. Dieses Produkt würde nicht angeboten. Der mit der klassichen Grafik vergleichbare Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage wäre der Zweite. Der würde aber wohl nur unter den Bedingungen eines Preiskampfes erreicht, wenn stärkere Anbieter mit niedrigeren Kosten einen Konkurrenten vom Markt verdrängen wollten. Häufiger dürften sie aber ein Gewinnmaximum anstreben, bei dem sie selbst hohe Gewinne und die schwächeren Konkurrenten niedrige Gewinne erzielen würden. Unter diesen Bedingungen würde sich der Marktpreis also deutlich über dem natürlichen Preis einpendeln. Der Markt würde erst dann in Bewegung kommen, wenn zusätzliche große Anbieter aus dem Ausland auf den inländischen Markt drängen wollten. Unter den Bedingunen eines globalisierten Weltmarktes ist diese Möglichkeit aber schon berücksichtigt. Dann regeln aber oft nicht mehr Angebot und Nachfrage den Preis.
Dieser Mechanismus ist der Grund dafür, dass sich die illegalen Preisabsprachen häufen. (vgl. z.B. http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/pflanzenschutzmittel-und-pflastersteine-die-spektakulaersten-kartellfaelle/4645552.html oder http://www.diewunderbareweltderwirtschaft.de/p/illegale-preisabsprachen-wurstkartell.html) Wegen der Gesetzmäßigkeit der Angebots-Nachfrage-Funktion im Oligopol kämpft die Kartellaufsicht gegen Windmühlen.
Der Mechanismus von Angebot und Nachfrage funktioniert auch nicht bei Gütern des täglichen Bedarfs, bei denen die nachgefragte Menge nur wenig vom geforderten Preis abhängt. Wie z.B. der Verfall der Milchpreise zeigt, werden die Verbraucher durch die niedrigeren Preise nicht dazu motiviert, mehr Milch zu trinken. Bei steigenden Preisen würden sie ihren Verbrauch auch nur geringfügig einschränken. Die Nachfrage ist unelastisch, reagiert also kaum auf den Preis.
Abb. 56: Angebots-Nachfrage-Funktion bei unelastischer Nachfrage
Quelle: eigene Darstellung)
Die Marktwirtschaft funktioniert hier nur über den Mechanismus, dass die kleinsten Bauern zur Betriebsaufgabe gezwungen werden sollen. Um sich aus der Gefahrenzone zu lösen haben aber viele mittelgroße Bauern ihren Betrieb erweitert um mit der Fixkostendegression auf niedrigere Stückkosten zu kommen und haben damit das Überangebot an Milch erhöht und das Problem verschärft. Weil Angebot und Nachfrage kein befriedigendes Ergebnis hervorbringen wird seitens der Politik versucht, die Not mit Subventionen zu mildern – als Problemlösung können die Pläne der Poliiker nicht bezeichnet werden.
Ein weiteres Beispiel, wo Angebot und Nachfrage unbefriedigende Ergebnisse herstellen würden, ist der Arbeitsmarkt. Dieser Markt ist nicht nur nicht elastisch, sondern sogar umgekehrt elastisch. Hier würde bei einem sinkenden Preis für die Arbeitskraft nicht weniger sondern mehr Arbeitskraft angeboten. Weil die Arbeitnehmer den Lebensunterhalt für ihre Familien mit gesunkenen Löhnen nicht mehr bestreiten könnten müssten sie sich einen Nebenjob suchen. Nicht nur die Nachfrage, auch das Angebot steigt bei sinkenden Löhnen. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 hat eindrucksvoll gezeigt, dass marktwirtschaftliche Lösungsansätze das Problem verschäft statt gelöst haben. Nur unter der Annahme, dass die Nachfrage stärker steigt als das Angebot, kann es bei einem sehr stark gesunkenen Lohnniveau irgend wann zu einem Gleichgewicht zwischen der angebotenen und der nachgefragten Arbeitskraft kommen.
Abb. 57: Angebots-Nachfrage-Funktion auf dem Arbeitsmarkt
(Quelle: eigene Darstellung)
Weil Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt schlecht funktionieren haben die Arbeitnehmer über die Gewerkschaften Kartelle organisiert, die fallende Löhne verhindern sollen. Damit diese Kartelle nicht unterlaufen werden muss es auch eine flankierende soziale Absicherung für Arbeitslose geben.
Die dargestellten Einschränkungen bei der Funktion von Angebot und Nachfrage wie im Lehrbuch zeigen, dass die Theorie von Adam Smith unter heutigen Bedingungen eher den Ausnahmefall als den Normalfall beschreibt. Die Unternehmen haben sich darauf eingestellt.